Fischkorb - Spezial
Salmoniden und Coregonen

Der Fisch, das unbekannte Wesen ?

Im Jahr 2001 fing ich in der Baunach eine kapitale Bachforelle, einen Milchner mit 65cm Länge. Bei diesem grossen Fisch fiel mir erstmals etwas auf, was mir in meiner über 35-jährigen Fischerlaufbahn und unzähligen gefangenen Salmoniden bisher entgangen war, ich hatte einfach nicht darauf geachtet.
Der Fisch wies ein kleines, aber relativ gut ausgeprägtes zweites Paar Bauchflossen auf, angesiedelt direkt an der Basis der eigentlichen Bauchflossen.

Was war das - eine Laune der Natur, eine genetische Veränderung, oder etwas, das schon immer da und mir bisher nur nicht aufgefallen war ?
Da bis zum nächsten Fang einer Bachforelle Dank Schonzeit noch einige Monate vergehen sollten, wälzte ich derweil Fachliteratur und recherchierte im Internet - nirgends war etwas über dieses ominöse zweite Bauchflossenpaar zu finden. Auch in meinem damaligen Anglerforum stellte ich die "Flossenfrage", auch dort wusste zunächst niemand etwas darüber und die diversen Vermutungen gingen in ähnliche Richtungen, wie ich sie angestellt hatte - Mutation, Laune der Natur, genetische bedingte Veränderung bei den Fischen eines bestimmten Züchters etc.

Eine interessante These kam von einem Fliegenfischer, der meinte, das könne ein Zeichen für eine Wildform sein - leider liess sich auch das nicht literarisch bzw. wissenschaftlich belegen.

Im folgenden März unterhielt ich mich beim Ruttenfischen am Walchensee mit meinem Bekannten, einem gelernten Fischwirt, über das Thema und der meinte lapidar: "Ja, die haben alle Salmoniden ..." - eine Erkenntnis aus seiner Praxis, auch ohne Literaturangaben.

Die Forellenschonzeit war vorbei, ich achtete nun gezielt auf die Zahl der Bauchflossen und fing in der Baunach tatsächlich einige normalgrosse Bachforellen, die ebenfalls diese Zusatzflossen aufwiesen. Bei einer Fischlänge um 35cm stellten sich diese allerdings eher als eine Art Dorn dar, man musste schon genauer hinschauen.
Ein anderes Forenmitglied meldete dann Fänge von Bachforelle und Bachsaibling aus der Gegend Bayerischer Wald, die ebenfalls dieses 2. Bauchflossenpaar aufwiesen
- somit konnte eine regionsbezogene genetische Mutation fast ausgeschlossen werden.

Da mich nicht nur das Fischefangen, sondern auch der Fisch an sich interessiert, schickte ich, mit entsprechendem Fotomaterial, eine E-Mail an die damalige Landesanstalt für Fischerei in Starnberg und den Landesfischereiverband Bayern - die müssten es doch eigentlich wissen. Eine Stellungnahme steht bis heute aus und so geriet die Sache vorerst etwas aus meinem Blickfeld - bis zum Jahre 2006.
Da lernte ich auf einer Ausbildertagung weitere Vertreter von der LfL Abt. Fischerei und vom L.F.V. Bayern kennen und spach das Thema erneut an - diesmal persönlich.
Ich hatte zwar immer noch den Eindruck, nicht richtig ernst genommen zu werden, es hatten sich mittlerweile aber auch Kontakte zu anderen interessierten Fischern aus dem gesamtbayerischen Raum ergeben, die entsprechende Salmonidengewässer befischen.
Deren Unterstützung (bilddokumentierte Fänge, vielen Dank dafür) lässt keinen anderen Schluss zu, als dass dieses zusätzliche Bauchflossenpaar nicht nur bei Salmoniden, sondern auch bei Coregonen auftaucht und somit keine regionsspezifische Besonderheit darstellt, sondern allgemein vorhanden ist.

Die folgenden Fotos unterliegen dem Copyright der jeweils genannten Autoren !


Das Internet erleichtert die Kommunikation zu anderen Fischern, sodass auch Detailfotos aus anderen Regionen/Ländern die Dokumentation ergänzen und somit das Ganze auf eine breitere Basis stellen.
Vielen Dank an Alle, die sich des Themas ebenfalls annahmen und entsprechende Fotos ihrer Fänge zur Verfügung stellten.

Ein Fischzuchtmeister, den ich wegen Äschenbesatzes kontaktierte, meinte auf das Thema angesprochen, es käme immer mal wieder vor - quasi ein genetischer Defekt - der sich weitervererbt, wenn beide Elterntiere diese Flosse haben.
Das hört sich plausibel an, aber dafür zieht mir das Phänomen inzwischen zu weite Kreise.

Mich persönlich interessieren in dem Zusammenhang drei grundlegende Dinge:

  • Welche Funktion hat dieses zusätzliche Flossenpaar, das m. E. neurologisch steuerbar ist - im Gegensatz zu dem unkontrollierbaren "Anhängsel" Fettflosse ?
  • Welchen Stellenwert hat dieses Flossenpaar im Hinblick auf die Evolution, was stellt es (bspw. beim Landsäuger) vergleichsweise dar, oder ist dort keine Parallele zu finden ?
  • Oder ist das Ganze tatsächlich eine zufällige genetische Besonderheit, wogegen m. E. die offensichtliche Vererbbarkeit spricht, sowie, dass diese "Mutation" in voneinander unabhängigen Regionen auftaucht ?

    Im Englischen findet man z.B. eine Flossenbeschreibung der Salmoniden, bei der diese Zusatzflosse sogar eingezeichnet ist, aber definitiv nicht beschrieben wird - klick hier - allerdings ist diese Zusatzflosse u.a. im englischen Sprachraum als Pelvic axillary process bekannt.

    Etwas seltsam finde ich in dem Zusammenhang auch, dass im Zeitalter von Atomspaltung und Gen-Manipulation, so etwas vergleichsweise Riesiges von der (deutschen ?) Wissenschaft anscheinend übersehen wird.


    Nach einem entsprechenden Telefongespräch am 07.05.2007 mit Dr. Leuner von der Landesanstalt für Landwirtschaft, Abt. Fischerei in Starnberg, meinte dieser, das wäre ein Fall für die Zoologische Staatssammlung München. Dort werden wohl entsprechende Forschungen betrieben und das nötige Equipment steht dort zur Verfügung.
    Nun hoffe ich natürlich, dass das Thema endlich ernst genommen wird und er die Sache an die ZSM weiterleitet.


    Am 10.05.2007 wandte ich mich, auf Vermittlung des Verlags Dr. Friedrich Pfeil, München, per E-Mail an Dr. Ralf Britz, einen deutschen Fischexperten des Natural History Museum in London.

    Die Kernfrage meiner Mail lautete:
    Handelt es sich bei diesem zusätzlichen Bauchflossenpaar um einen Standart, oder tritt dieser Wuchs nur unter bestimmten Umständen auf ?

    Die Antwort von Herrn Dr. Britz liess nicht lange auf sich warten, bereits am 11.05.2007 antwortete er mir:
    Was Sie da bei den Forellen und anderen Salmoniformes gesehen haben, sind die sogenannten Achselschuppen, die sowohl an der Basis der Brust- als auch der Bauchflossen vieler, meistens basaler (ursprünglicher) Teleostei (Knochenfische) vorkommen können. Es handelt sich dabei um in der Regel von verlängerten Schuppen gestützte Hautlappen, deren Funktion völlig unklar ist. Sie waren schon auf dem richtigen Weg, denn in der englischsprachigen Literatur werden diese Fortsätze als axillary scales bezeichent, also pectoral or pelvic axillary scales or processes.
    Es sind somit keineswegs 'doppelte' Bauchflossen.

    An dieser Stelle nochmal meinen herzlichen Dank an Herrn Dr. Britz für die schnelle und aufklärende Antwort.


    Mittlerweile deuten etliche weitere Fänge von Salmoniden und Coregonen meiner internetten Fischerkollegen aus Bayern und der Schweiz darauf hin, dass es sich beim Auftreten dieser "Flossenanhänge" eher um die Regel als die Ausnahme handelt.
    Für mich persönlich ist das Thema damit noch nicht erledigt, da, wie Dr. Britz schrieb, "deren Funktion völlig unklar ist".
    Hier scheint noch/doch ein gewisser Forschungsbedarf zu bestehen - vielleicht ein Thema für angehende Ichthyologen, Naturwissenschaftler und Naturhistoriker ...?!

    Eines meiner Lieblingszitate stammt von Marie von Ebner-Eschenbach: Wer nichts weiss, muss alles glauben ...

     


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